Soziokulturelle Probleme bei Übersetzungen aus dem
Spanischen – ein Fallbeispiel
Viele der in Lateinamerika gebräuchlichen Tier- und Pflanzennamen unterscheiden sich
in ihrer Bedeutung nicht nur von denen des ehemaligen Mutterlandes, sondern können
auch von denen des Landesnachbarn oder gar des benachbarten Landstrichs abweichen.
Dieser Umstand kann auch einen erfahrenen Übersetzer in die Irre führen. Nicht selten
genügt dann auch kein Blick ins Wörterbuch. Ein Nachschlagen kann die Verwechs-
lungsgefahr sogar vergrößern: Findet man nämlich unter diesem Eintrag tatsächlich
einen Tier- oder Pflanzennamen, meint man, die korrekte Übersetzung gefunden zu
haben, obwohl sich der Autor möglicherweise auf eine ganz andere Art bezogen hatte.
Das passiert sogar dann, wenn das Nachschlagewerk die betreffende Übersetzung mit
einer regionalen Einschränkung wie “Lateinamerika” oder “Antillen” vermerkt, da sich
auch solche Präzisierungen mitunter noch als zu grob erweisen können.
So ist der kubanische pez perro kein Hundsfisch, wie Wort-für-Wort-“Übersetzungen”
leider immer wieder suggerieren, sondern ein Lippfisch (Lachnolaimus maximus) und
damit ein Familienmitglied der Lipp- oder Schweinsfische (Labridae). Arten aber, die
ein Mexikaner oder Kubaner unter dem Namen pez cochino oder pez puerco kennt –
was wörtlich übersetzt tatsächlich Schweinsfisch bedeutete – werden bei uns
Drückerfische (Balistes spp.) genannt. Doch damit nicht genug: In einigen Regionen
Nikaraguas wiederum heißt dieser vergleichsweise kleine Lippfisch auch jaquetón
blanco, was zu noch “gefährlicheren” Verwechslungen führen könnte, schließlich steht
dieser Volksname anderenorts für den Weißen Hai (Carcharodon carcharias).
Mitunter liest man von Pinguinen – in Spanien auch pájaro bobo genannt –, obwohl
damit eigentlich die sehr flugtüchtigen Tölpel gemeint waren, die auf Kuba ebenfalls
pájaro bobo heißen. Oder von Tigern anstelle von Jaguaren, weil das ähnlich
klingende tigre zunächst einmal tatsächlich Tiger bedeutet, allerdings nicht, wenn
damit ein Vertreter der amerikanischen Fauna gemeint ist.
Auch der historische Name der zu Kuba gehörenden Isla de Pinos ist ein solcher
Problemfall: Diese schöne Insel – heute offiziell Isla de la Juventud (Insel der Jugend) –
scheint immer wieder dazu verdammt zu sein, mit Pinieninsel übersetzt zu werden.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Pinie klingt fast wie Pino und somit “logischer”, da
exotischer als das in den meisten Wörterbüchern als erste Übersetzung angebotene
Wort Kiefer. Offensichtlich fällt die Vorstellung schwer, dass auch in den Tropen
Kiefernarten wachsen, ja sogar zum natürlichen Vegetationsbestand gehören können,
während die echte Pinie (Pinus pinea) vielmehr ein typischer Vertreter der medi-
terranen Flora ist.
Das Problem der Polysemie bzw. Homonymie betrifft natürlich auch viele anderen Bereiche der Sprache.
Nicht selten stößt man auf solche Fehlübertragungen auch dann, wenn Verlage ein Werk
nicht als Direktübersetzung, sondern als Übertragung einer bereits ins Englische
übersetzten Ausgabe auf den Markt bringen. Natürlich kann man dann von diesem
Übersetzer kaum soziokulturelles Hintergrundwissen erwarten, wenn der Autor des
Originalwerkes aus einem anderen Kulturkreis stammt.
Urheber der Abbildungen
Lachnolaimus maximus (oben) - Foto: Albert Kork
GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Die Originaldatei ist hier
zu finden.
Carcharodon carcharias (darunter) - Foto: Terry Goss
GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Die Originaldatei ist hier
zu finden.
Lizenz: http://www.mellisuga.de/fdl.txt
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